Grillparzerstraße 10

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47° 4' 51.92" N, 15° 26' 37.21" E


Margaretenbad (unrichtig: Margarethenbad)

Das Areal des heutigen Freibades war einst "Zschocks englicher Garten" (Näheres dazu siehe beim Zschock'schen Schlössl Körblergasse 23). 1910 erwarb ihn der 1860 in Wien geborene Bauunternehmer und Stadtbaumeister Ing. Alexander Zerkowitz und entwarf einen Wohnblock. Zuvor war er Brückenbauer in Banja Luka gewesen, wo fünf seiner sieben Kinder geboren wurden. Zwischen 1910 und 1912 erbaute er die stilistisch einzigartigen vier Häuser Grillparzerstraße 4 (als Eckhaus auch Humboldtstraße 31), 6 8 und Humboldtstraße 33, in dem die Familie wohnte. Für die Familie Simon Rendi übernahm Zerkowitz die Bauausführung des Geschäfts- und Wohnhauses am Joanneumring 5 sowie der Wohnbauten Keesgasse 7, 9 und 11. Für die Firma Kastner & Öhler realisierte Zerkowitz das von Fellner und Helmer geplante Warenhaus in der Sackstrasse. weiters das Monturdepot in Gösting (später BULME), die Kaimauer beim Schloßberg.

Nach dem Weltkrieg entwickelte sich in ganz Europa ein neues Körperbewußtsein mit dem Wunsch, die Volksgesundheit zu fördern. So erbauten Witwe Jenny und Sohn Bruno Zerkowitz, die das Bauunternehmen nach dem Tod von Ing. Zerkowitz (30.6.1927) weiterführten, ein Freibad - dort, wo der Regulierungsplan eigentlich die Verlängerung der Wastlergasse vorgesehen hatte (weshalb die Bewilligung zunächst nur auf 15 Jahre erteilt wurde). Den noch bis in die 1980er Jahre wirksamen sezessionistischen Entwurf der Anlage mit seiner hölzernen Pergola schuf der aus Ungarn stammende und 1935 nach Israel emigrierte Architekt Ing. Eugen Székely (von ihm stammte auch das 1931/32 erbaute und 1944 zerbombte Arbeitsamt an der Ecke Ghegagasse-Bahnhofgürtel und 1933/34 die Stadtrandsiedlung für Arbeitslose und Kurzarbeiter in der Amselgasse).

Margaretenbad nannte man die Anlage zur Erinnerung an das französische Kindermädchen des Sohnes Bruno. Es war das erste moderne Freibad von Graz und entwickelte sich schnell zu einer äußerst beliebten Erholungsanlage mitten in der Stadt. Auch der Bau selbst war durchaus als harmonisches Ensemble der Baukunst der Zwischenkriegszeit zu betrachten. Der Badehimmel beginnt sich aber bald zu verfinstern. Schon 1937 kommt es zu einem antisemitisch motivierten Anschlag, bei dem das Kassengebäude beschädigt wird. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 wird das Bad "arisiert". Als jüdische Familie haben nun die ihres Bades beraubten ehemaligen Erbauer und Besitzer dort nicht einmal mehr Zutritt.

Bruno Zerkowitzs nichtjüdische Gattin Anny kämpfte lange um einen angemessenen Kaufpreis, und nimmt ihre aus der Wohnung vertriebene Schwiegermutter Jenny bei sich und ihrem Sohn Claus (geboren 1936) in der Wastlergasse 8 auf. Ihren Mann Bruno Zerkowitz ereilte jedoch mit zweien seiner Schwestern das Schicksal von Millionen seiner Glaubensgenossen: er kam zunächst ins KZ Dachau, wurde dann des Landes verwiesen und flüchtete nach Jugoslawien, wo ihn Ehefrau und Sohn noch besuchen konnten. Als dort aber 1941 die deutschen Truppen einmarschierten, verschleppte man ihn ins Lager Jasenovac, wo er 1942 "liquidiert" wurde. Als schon 1940 letzte Jüdin von Graz wurde im Oktober 1941 auch Jenny, die Witwe von Alexander Zerkowitz, in eine Sammelstelle nach Wien gebracht; Ende 1942 geht der Leidensweg der 82jährigen im Lager Theresienstadt zu Ende.

NS-Ariseur Otto Bröderer nutzte das Bad ausschließlich als Einkommensquelle und investzierte nichts; es war daher schon in schlechtem Zustand, als es im Mai 1945 von der Roten Armee besetzt wurde. Die Russen fuhren von der Körblergasse aus mit Panzern ins Bad und tränkten ihre Pferde im Bassin. Danach drückten sie Anny Zerkowitz die Schlüssel in die Hand und drängten auf die Öffnung des Bades. Diese ließ sich vom ruinösen Zustand des Bases nicht abschrecken, veranlasste die notdürftige Behebung der Schäden, und am 7. Juli 1945 öffnet das Margaretenbad erneut seine Tore - mit Frau Zerkowitz als Betreiberin.

Der "entnazifizierte" Ariseur Bröder wollte noch 1952 "sein" Bad zurück (!), und ein Hallenbad und Kurhotel errichten, aber letztlich erhielt Anny Zerkowitz 1953 das Areal wieder in ihr Eigentum zurück. Der Betrieb wurde aber immer schwieriger und unrentabler, der Student Claus Zerkowitz musste bald oft den Bademeister ersetzen und an Kasse und Buffet mithelfen. Schließlich konnte die Familie das Bad nicht mehr halten und übergab es nach langen Verhandlungen 1961 an die Stadt Graz.

Schon damals unterschrieben die Gäste des "Margerl" eine Petition und konnten eine Verbauung des Areals verhindern. In den 1980er und 1990er Jahren erhielt das Bad dann sein "betoniertes" Aussehen, das kaum mehr an die raffinierte Konstruktion der 1920er Jahre erinnert. Der Architekt Emo Meister entwarf ein einstöckiges Eingangsgebäude, das auch die Kabinen aufnahm, um mehr Freiflächen zu schaffen. Im Obergeschoß wurde bis zur Jahrtausendwende eine Sauna betrieben wurde. Nach 12 Jahren Leerstand zog dann 2015 das USI Universitätssportinstitut ein. Frau Anny Zerkowitz war 1999 im Alter von 94 Jahren verstorben.

2007 unterschrieben neuerlich 5000 Bürger für den Erhalt des Bades, ein Jahr später feierte die Initiative das 80-Jahr-Jubiläum mit einer Ausstellung "Bad der Erinnerung" in den leerstehenden Räumen des Restaurants im Eingangsbau. Eine Menge privater Fotos und Erinnerungsstücke, sowie Vorträge von Antje Senarclens de Grancy, Karel Kubinzky, Herbert Lipsky u.a., führten in die Vergangenheit des beliebten Schwimmbads. 2015 startete der "Grätzltreff" für einen Monat im Obergeschoß, bis im November dieses Jahres ein Geschäftslokal Ecke Wastlergasse-Bergmanngasse als Nachbarschaftstreffpunkt übernommen wurde.

Nach mehreren Umbauten und Sanierungen sind heute nur noch wenige Spuren der ursprünglichen Gestaltung erkennbar. Ein drastischer Eingriff war der Bau des gestaltlosen Eingangsgebäudes. Eine kleine halbovale Nische, die für einen Trinkbrunnen im Bereich der tiefer liegenden Wiese vorgesehen war (aus der einst beliebten Kickwiese, in der sich oft sogar GAK- und Sturm-Legenden ein Derby lieferten, ist ein Beach-Volley-Platz geworden), ein Stück der roten "Reling" und die Duschanlagen sind letzte Zeugnisse der Anfangszeit. Als Oase für Freizeit, Sport und Erholung ist das "Margerl" aber auch für die jetzige Generation unverzichtbar geworden.

Quellen: 1) Claudia Zerkowitz-Beiser, Meine jüdische Familie. Ihr Leben in Graz und ihre Auslöschung. Clio, Graz 2021

2) Universalmuseum Joanneum

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